Schweizer Perlen – asphaltfrage.de auf Shoppingtour.

Packt Sie nicht auch manchmal die Lust beim Gebrauchtwagenhändler von nebenan vorbeizuschauen und auf der Suche nach dem Besonderen auch mal die hintersten Reihen zu durchforsten? Uns packt diese Lust in regelmäßigen Abständen, doch fündig wurden wir erst diesen Sommer.


Nach irgendeiner, eher uninteressanten, Fahrvorstellung in der Schweiz, die rund um den Bodensee ging und auf der wir mit Kollegen wieder die Legende der immer gut gepflegten und nie geschundenen Gebrauchtwagen der Eidgenossen ausgepackt haben, wurde das Feuer wieder entfacht. Statt direkt die Heimreise anzutreten wurde ein alter Freund aus dem nahegelegenen Kirchberg angerufen, ein Termin fürs Abendessen ausgemacht und bis dahin sollten uns die „Occassionen“ auf den Kiesplätzen die Zeit vertreiben.

Leider waren wir relativ glücklos. Entweder handelte es sich um teure Jahreswagen bei den Vertragshändlern oder um uninteressante, weil untermotorisierte, Kleinwagen bei den Freien. Eine gewisse Enttäuschung stellte sich schon ein als wir beim Abendessen von unserer erfolglosen Suche erzählten. Doch wir hatten die Rechnung ohne unseren Rainer gemacht. Ganz in der Nähe des Restaurants kannte er einen kleinen Gebrauchtwagenplatz, auf dem die Rückläufer und Inzahlungnahmen der örtlichen Audi-Vertretung auf ihre neuen Besitzer warteten.

Und dort stand er zwischen einem Gros an Audi A6 3.0 TDI quattro, schönen A4 2.0 TFSI und noch schöneren A8 6.0 W12: ein alter Audi S3. Ebonyschwarz, originale Avus-Felgen in 17 Zoll, Serienhöhenstand, kein Tuningfirlefanz und eine sehr gut erhaltene Lederausstattung. Leider stand kein Preis am Objekt der Begierde, doch der Zufall meinte es gut mit uns und der geschäftige, italienisch-stämmige Inhaber des Platzes war noch vor Ort und händigte uns nach kurzer Begrüßung die Schlüssel des Wagens aus.


Mit einem satten Schmatzen gab die pneumatische Zentralverriegelung den Zugang zum Alt-Audi frei und der Geruch des alten Leders ließ sofort die Erinnerung an die seligen Zeiten von Audi 100 Avant und Audi S4 Avant (damals, als der S4 noch nicht S6 hieß und einen 2.2 Liter Turbofünfzylinder haben durfte) hochkommen. Die schweren Recaro-Sitze präsentierten sich in makellosem Zustand, die Polsterung war straff, die Sitzwangen nicht eingerissen. Alles war gepflegt und höchstens ein bisschen verstaubt.


Noch bevor der Griff ins Handschuhfach zum Scheckheft erfolgte siegte die Neugier und der Motor musste angelassen werden. Nach dem Einschalten der Zündung das erste Erstaunen: 244.672km zeigte der S3 rot auf schwarz auf seinem Tacho. Dass der gute alte 1.8T trotzdem sofort willig ansprang und in einen weichen Leerlauf verfiel, ließ uns dann doch auf das Scheckheft gespannt sein.

In der prall gefüllten Bordmappe fand sich dann jedoch nicht nur das Serviceheft, sondern auch Versicherungsbestätigungen, Kennzeichenummeldungen und eine Vielzahl anderer Dokumente der Vorbesitzerin. Jawohl, der schwarze S3 war ein Frauenauto. Gekauft und ausgeliefert im elitären St. Moritz zog der schnelle A3 mit seinem Besitzerehepaar dann in die Nähe des Bodensees, wo er endgültig auf die Dame des Hauses zugelassen wurde und seitdem nicht nur viel bewegt, sondern ebenso gut gepflegt wurde.


Sämtliche Stempel im Serviceheft sind bei der gleichen Audi-Vertragswerkstatt durchgeführt worden und auch teure Maßnahmen wie Haldex-Ölwechsel und Zahnriementausch wurden überpünktlich ausgeführt. Ob der schnelle S3 eine Sünde wert wäre? Vielleicht sogar die erste Gebrauchtwagengeschichte für die asphaltfrage? Was als Spinnerei begonnen hatte nahm mehr und mehr Form an.

Das unschlagbare Kaufargument fand sich dann aber als Einleger am Ende des Serviceheftes: die Rechnung einer – wie uns der sachkundige Verkäufer aufklärte – alteingesessenen, heute leider nicht mehr geöffneten Sportgarage, die nur einen Steinwurf vom Audi-Zentrum entfernt die großen Aufgaben für die Vertragswerkstatt übernahm. Der S3 bekam dort vor seinem Zahnriemenwechsel bei guten 160.000 Kilometern nicht nur einen fabrikneuen Zylinderkopf, auch Turbolader und Kupplung wurden verbaut und bei der großen Operation wurde ebenfalls der Block gehont, neue Kolbenringe verbaut und die Pleuellager erneuert. Das der Zahnriemenwechsel dann – der Mobilitätsgarantie wegen – wieder bei Audi erfolgte, zeugt von der Hingabe mit der die Vorbesitzerin ihren kleinen hot hatch gepflegt hat.


An dieser Stelle hatten wir den Kaufvertrag mental bereits unterschrieben – wohlgemerkt ohne den Preis zu kennen. Dem tat auch der äußere Zustand keinen Abbruch, der mit dem technischen Zustand nicht so ganz mithalten konnte. Wir verkneifen uns an dieser Stelle chauvinistische Seitenhiebe, aber elf Jahre und eine Viertelmillion Kilometer hinterlassen eben ein paar Kratzer und Beulen, die von einem ereignisreichen Leben auf den Schweizer Straßen erzählen. Und wie wir alle wissen, kommt es ja sowieso auf die inneren Werte an.

Nachdem die restlichen Ausstattungsmerkmale anschließend auf Funktion geprüft waren (mit Sitzheizung, elektrischer Sitzverstellung, Xenonlicht, Klimaautomatik, Bordcomputer, Tempomat, Radio, CD-Wechsler, ESP und anderen Kleinigkeiten dauerte das schon eine Weile), ging es dann wieder zurück ins Büro, um die wichtigste Frage zu stellen: „Was is letzte Preis?“ Natürlich waren wir höflich und verkniffen uns den Ton, der in Deutschland mittlerweile zu jedem Gebrauchtwagengeschäft dazugehört. Wir wurden mit einer mehr als zufriedenstellenden Antwort belohnt – 7500 Schweizer Franken.

Nach kurzer Währungsumrechnung ins Einheitsgeld kamen wir zum eindeutigen Schluss, dass 6300 Euro in keinem Fall ein überzogener Preis für diese Ingolstädter Perle waren. Man wurde sich also einig und auf der Rückfahrt hatten wir genug Zeit die Formalien abzuklären, die eine Einführung und Zulassung eines Nicht-EU-Fahrzeuges in die Bundesrepublik mit sich bringen.


Keine Woche später stand der schwarze S3 auf dem Redaktionshof. Der TÜV-Prüfer war ebenfalls begeistert vom Zustand und lobte uns „eine echte Perle“ gefunden zu haben. Aber das wussten wir ja bereits vorher. Jetzt stand der schnellen Audi nur noch vor einer Prüfung, dem fahrdynamischen „auf-den-Zahn-fühlen“ von bigblogg-Chef Axel Griesinger. Sonst eher dem kartigen MINI-Fahrspaß verschrieben und dem hechelnden Sound der 911er aus Zuffenhausen verfallen, erreichte uns nach einer Woche der Anruf: „Mensch, sowas brauche ich auch!“. Volltreffer.

Es gibt sie also doch: Die Schweizer Perlen, gesegnet mit großem Motor, kompletter Ausstattung und lückenloser Pflegehistorie. Und das Ganze zu Preisen bei denen auch der schlechte Wechselkurs des Rettungsfonds geplagten Euros keinen Strich durch die Rechnung macht! Also einfach einmal der Lust nachgehen und beim nächsten Urlaub nicht nur Schuhe und Handtaschen einkaufen – manchmal darf es auch ein alter S3 sein.

Text: sk
Bilder: aw

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