Schulterzucken – die IAA-Nachlese

„This car, then: it’s like meeting a new, very pretty girlfriend and then discovering over time that she is also extremely bright and can cook and change the hydraulic pump on a 1975 Citroën SM.“

So ein Auto wollen wir. Ein Auto, das begeistert. Uns mitreißt. Uns bewegt. Jeremy Clarkson hat es im F-Type gefunden, wir haben es auf der IAA gesucht. Nur: wir haben es nicht gefunden. Noch vor wenigen Jahren konnte man mindestens eine Hand voll sprachlos machender Studien und Weltpremieren aufzählen, ohne dabei Luft zu holen. 2013? Schulterzucken. Nachdenken.

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Die Studie des S-Klasse-Coupés vielleicht. Nicht wegen der Assistenzsysteme und der Ionenbeduftung, sondern einfach wegen der klassischen Grandezza eines mächtig großen Coupés. Danach kam dann auch gleich der BMW i3. Mangels Alternativen. Denn der Plastikstromer aus München ist das einzige Ausstellungsstück, das nicht nur die Fortbewegung im Sinn hat. Es geht um Nachhaltigkeit, um neue Mobilitätskonzepte. Eben um jenes „mehr“, was die jüngere Generation am klassischen Automobil vermisst. Dort, wo das Auto nicht mehr Symbol der eigenen, grenzenlosen Freiheit, sondern nur noch ein Baustein im Puzzle der individuellen Mobilität ist, scheint die Automobilindustrie ein wenig ratlos.

asphaltfrage.de - IAA 2013 - S Class Coupe concept - Wallpaper 2 - BMW i3

Robert Basic zieht gar den Vergleich mit Nokia und äußert Bedenken, dass die Industrie den bevorstehenden Wandel ob der eigenen Macht und Größe gar nicht ernst nimmt. Wenn das Auto nicht mehr nur Produkt, sondern Teil einer intelligenten Fortbewegungslösung ist, dann werden zudem andere Branchen und Konkurrenten in den Ring steigen. Was im Letzten nicht nur für die Autoindustrie, sondern auch für den Standort Deutschland, dessen letzte wirklich verbleibende Großindustrie eben das Automobil ist, zu einem Problem werden kann.

asphaltfrage.de - IAA 2013 - S Class Coupe concept - Wallpaper 8 - BMW i8

Immerhin: das Interesse an neuen Ideen und Lösungen ist groß. Nicht anders ist es zu erklären, dass am Stand von Tesla bereits an den Presse- und Fachbesuchertagen kaum ein Durchkommen war. Und wir reden hier nicht von den üblichen Verdächtigen mit Segelschuhen und hochgestellten Kragen, auch nicht von den Spesenrittern und Büffetfräsen, die auf der Suche nach dem achten Gratis-Champagner sind. Nein, wir reden von humorlosen Männern mit akkurat gebundenen Krawatten, etwas aus der Mode geratenen Brillen und echtem Durchblick. Ingenieure, Entwickler, Controller – kurz: die Entscheider der Konkurrenz.

Die nicht fassen können, dass ein „IT-Nerd“ aus den USA aus dem Stand ein Infotainmentsystem an den Start bringt, das nach fünf Minuten bereits zeigt wie lächerlich – und das meinen wir so: lächerlich – die Versuche der großen Weltkonzerne bisher waren. Weil Elon Musk eben nicht eine jahrzehntelange gereifte Entscheidungskette durchlaufen muss, sondern die Dinge schnell und nah an den Bedürfnissen der Kunden entwickelt, ja sie sogar mitentwickeln lässt. Denn darum geht es in der Zukunft: um Tempo. Um Schnelligkeit. Um Updates.

Das Auto wird so smart wie unsere Handys. Zumindest in weiten Teilen. Und noch scheint es, als gäbe es in der Industrie viele „Nokias“.

Natürlich ist uns auch klar, dass es weiterhin echte Herzensbrecher geben wird, denen „smart“ sein herzlich egal ist, weil sie einfach geil sind. Der Alfa 4C zum Beispiel – wobei der sogar relativ smart ist im Vergleich zur fettleibigen Konkurrenz. Doch auf der IAA sah man sie zu selten. Schade.

Wir werden uns deshalb demnächst nicht mehr nur um Produkte, sondern auch um Konzepte kümmern. Und sind selbst gespannt!

Text: fm
Bilder: Teymur Madjderey, Andy Wiezorek